In meiner letzten Berlin-Geschichte hier möchte ich euch noch etwas über die Spätikultur erzählen und wer sich dahinter verbirgt.
Der liebevolle Spitzname “Späti” leitet sich von Spätkauf ab, ein Kiosk so zu sagen, der oft viel mehr ist, als nur der Laden von nebenan, nämlich sozialer Treffpunkt im Kiez, erweitertes Wohnzimmer bis hin zum Seelsorger.
und um die Uhr haben die Berliner Spätis oft geöffnet um die Leute mit kühlen Getränken, Zigaretten, Haushaltsartikeln, und so weiter zu versorgen. Das finden die Berliner natürlich toll, aber irgendwer muss sich ja die Nächte um die Ohren schlagen und hinter dem Verkaufstresen stehen. Ich finde, dem gebührt Respekt und ich wollte deswegen mal herausfinden wer diese Spätiverkäufer sind und euch vorstellen.
der Dogan; 43;
1980 wanderte der gebürtige Türke nach Deutschland aus. Hier angekommen verdingte er sich als Fußbodenleger. So richtig glücklich wurde er damit aber nicht, “und am Bau zahlen die Leute nicht”, sagt er. Eine Weile hat’s gedauert, aber seit fast vier Jahren ist er der stolze „Späti International“! Sieben Tage die Woche im Laden, seine Frau hält morgens die Stellung und der Dogan dann bis spät nachts… “ein Traumjob ist das auch nicht unbedingt, aber es tut sich meist immer was hier, so wird einem nicht langweilig und das ist schön so!” Ihm ist’s wichtig, seinen Freunden (apropos das deutsche: “der Kunde ist König” gibt’s nicht beim Dogan! Alle, die kommen, sind Freunde!) was zu bieten, ein sozialer Treffpunkt zu sein. So kommen Leute, um der Musik zu lauschen, die er auflegt (meist ausgefallene äthiopische Hingaben, seine Lieblingsband Pink Floyd und vieles mehr) oder bringen selbst Musik auf USB-Sticks mit, am Sonntag zum Tatortkucken oder um Ausstellungen zu organisieren. An heißen Sommertagen gab’s mal eine von ihm installierte Dusche vor dem Laden, doch die musste wegen Berlins liebstem Spaßverderber, dem Ordnungsamt, wieder weichen. Live Musik gab’s auch, aber leider nur einmal und endete mit einer saftigen Geldstrafe …das nervt ihn schon sehr hier… während wir quatschen, kommt der Wenzel in den Laden: “…das ist hier alles sehr familiär, man lernt die ganze Familie kennen, wenn man mal kein Geld hat, muss man auch nicht bezahlen, oder man kann sich einen Fernseher ausleihen, da fällt mir ein, ich hab noch deinen Föhn, Dogan.” Man hilft sich gegenseitig. Hat der Dogan mal ein Computerproblem, ist so etwas rasch gelöst. Manchmal knalle es auch richtig, sagt er, und der Wenzel bestätigt das mit einem verschmitzten Lächeln. “Ab und zu hat man Frust und den muss man dann einfach rauslassen, aber am nächsten Tag sind alle wieder Freunde!” Wie’s zum Namen kam? Freunde hatten den vorgeschlagen: “International – hier leben ja Menschen aus aller Welt!”
>>> Späti International, Weserstraße 190
Hüseyin; 45;
1993 kam der Hüseyin nach Berlin. “Berlin ist Multikulti! So ist das! Andere Städte gefallen mir nicht!” Nach 13 Jahren auf der Baustelle ging’s gesundheitlich einfach nicht mehr und so kam’s zu seinem “Rigaer Getränke” Späti. Seit der Eröffnung vor 5 Jahren hält er hier täglich die Stellung, oft bis zu 17 Stunden täglich, sieben Tage die Woche! “Das waren dann bis jetzt um den Daumen geschätzt 37.376 Stunden!” Den letzten Urlaub gab’s 2008 und seine 3 “Teufelskinder” würde er natürlich auch lieber öfter sehen. Der Hüseyin ist sozusagen eine absolute Kiezkonstante für seine Stammkunden…von denen er aber immer mehr verliert. “Viele können sich die Mieten nicht mehr leisten und ziehen an den Stadtrand. Das ist alles sehr traurig. Alle netten Läden, die junge Leute aufgezogen haben, sind weg. Es ist kein Platz mehr für Alternatives! Zum Glück gibt’s noch die Wagenburg gegenüber!” Seitdem die Supermärkte ringsrum auch länger offen haben, geht das Geschäft schlechter. “Große Fische schlucken kleine, das ist halt der Kapitalismus…” Trotz allem ist er gern der Späti und für seine Stammkunden an Ort und Stelle, seine Prognose ist aber eher düster, die negativen Entwicklungen, wie die Gentrifizierung seiner Ecke, werden sich wohl nicht aufhalten lassen…
>>> Rigaer Getränke, Rigaerstraße 104
Ahmet; 26;
Mit 6 Jahren verließen seine Familie und er ihr kleines kurdisches Dörfchen und emigrierten nach Deutschland. Nach 2 Jahren in einem Pankower Asylantenheim konnten sie eine Wohnung in Friedrichshain beziehen und später in Neukölln. Dort hatte ja auch ein Bekannter den Späti schon in Betrieb. Das Ganze wird zum Familien-Ding und mit frischen 19 Jahren übernimmt der Ahmet den Laden “AK44”! Wie’s zum Namen kam? “Da gibt’s mehrere Theorien, die zwei naheliegendsten wären: AK für Ahmet’s Kiosk und 44 von der ehemaligen Postleitzahl hergeleitet, oder eine nahe ideologische Verwandtschaft zur berühmten AK47.” Der Laden ist rund um die Uhr geöffnet, der Kiosk des Vertrauens im Kiez. Die Schichten teilt er sich mit Freunden und seinen Eltern. Das Klientel sind fast ausnahmslos Stammkunden, die der Ahmet alle beim Namen kennt und deren Geschichten dazu sowieso. Die Kunden haben sich jedoch auch hier in den letzten Jahren verändert. “Früher hatten wir Bänke vorm Laden, das war der soziale Treffpunkt der Assis. Die sind in der Früh gekommen, Pilsator gab’s für eine Mark, (kostet jetzt auch noch immer nur 50 Cent) und am Abend, alle total besoffen, wurde immer wild gestritten. Jeden Tag das Gleiche. Das waren die ersten, die verschwanden. Ein paar sind in Talkshows immer wieder aufgetaucht und ein paar Ausnahmen gibt’s noch, die weiterhin wegen des Treibstoffs Pilsator kommen, aber sich dann in den S-Bahnhof gegenüber verdrücken.” Die Mieten steigen, es wird saniert, die “Assis” weichen den Studenten, jungen Künstlern usw. und für die wiederum wird es jetzt auch schon wieder hart, und die ersten, die vor fünf Jahren gekommen sind, müssen weg. “Früher war Berlin ein Mekka für jeden. Was richtig Günstiges zum Wohnen aber findest du nur noch in Hellersdorf zum Beispiel, aber da will ja keiner hin!” Aber zurück zum Spätialltag. Als “auf-die-Fresse-Kiosk” beschreibt der Ahmet seinen Laden gern. “Wer keinen Humor hat, braucht erst gar nicht kommen!”, sagt er. Mit erfrischender Direktheit verschreckt er liebend gern schüchterne Touris. Überzeugter Spätimann ist er und glücklich obendrein, aber neben seinem Streben als Heavy-Metal-Schlagzeuger würde er eigentlich am liebsten Formel-1-Fahrer sein. “Schaun wir, was passiert. Alles hat sich so entwickelt. Scheiß auf Ziele!”
>>> Kiosk AK44, Saalestraße 39a
Florian Reischauer
Florian Reischauer lebt und arbeitet als Fotograf seit 2007 in Berlin. Pieces of Berlin, ein Blog über den Berliner Alltag, ist eines seiner Hauptprojekte.
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